Die Fragmentierung der Mediennutzung und ein härterer Verteilungskampf um Zuschauer und Werbeerlöse – das sind die Herausforderungen, denen sich das Fernsehen in den kommenden Jahren stellen wird. Thomas Wagner und Wolfgang Link erklären, warum TV dennoch das starke Fundament bleibt, auf dem alle anderen Kommunikations­maßnahmen aufbauen.

Broadcasting German-speaking: Interview mit Thomas Wagner und Wolfgang Link

Jeden Monat werden bei YouTube sechs Milliarden Stunden Videomaterial angesehen. Dazu kommen Streaming-Dienste wie Netflix und Bewegtbild auf unzähligen Websites. Trägt das Geschäftsmodell lineares Fernsehen noch?

Thomas Wagner: Die Kraft des Fernsehens ist ungebrochen. Es wird uns noch lange Zeit positive Ergebnisse bringen – die besten Jahre stehen uns erst noch bevor. TV profitiert wie kein anderes Medium von der Digitalisierung: Auch 2014 haben wir einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass sich der Netto-TV-Werbemarkt mit rund drei Prozent plus sehr gut entwickelt hat. Allen Unkenrufen zum Trotz ist das Fernsehen im fünften Jahr in Folge gewachsen. Und sämtliche Prognosen sehen den TV-Markt auch in den kommenden drei Jahren um etwa zwei Prozent netto im Plus.

Die jungen Zuschauer sehen weniger fern und mehr Online-Videos. Was stimmt Sie so optimistisch?

Wolfgang Link: Wir leben in einer Branche, die sich permanent neu erfindet, inhaltlich wie technologisch. Natürlich wird sich der Markt verändern und es gibt zwei Möglichkeiten, damit umzugehen. Ich kann mich hinsetzen und sagen: „Oh Gott, der Markt fragmentiert sich.“ Oder ich kann unfassbar viele neue Chancen darin sehen und Wege finden, diese zu nutzen. Wir sind kein Opfer der Fragmentierung, wir haben sie von Anfang an aktiv mitgestaltet.

Thomas Wagner: Ich bin überzeugt, dass es für unsere Kunden keine Alternative zum Fernsehen gibt. Je weiter die Fragmentierung der Mediennutzung fortschreitet, umso mehr zählt, dass TV das einzige Medium ist, das in kurzer Zeit hohe Reichweiten aufbauen kann. Die nicht-lineare, vor allem die mobile Nutzung wird zunehmen. Aber nur weil ich morgens vielleicht ein Kurzformat an der Bushaltestelle sehe, bedeutet das nicht, dass ich abends keine große Show mehr im Fernsehen schauen will.

Marktperformance

44,0 %TV-Werbemarktanteil

hat ProSiebenSat.1 2014 erzielt. Der Vermarkter SevenOne Media liegt damit erneut deutlich vor den Wettbewerbern. Im Zuschauermarkt gewinnt die Sendergruppe trotz Fußball-WM und Olympia im vergangenen Jahr 0,6 Prozentpunkte. SAT.1, ProSieben, kabel eins, sixx, SAT.1 Gold und ProSieben MAXX kommen bei den 14- bis 49-Jährigen auf einen gemeinsam Zuschauermarktanteil von 28,7 Prozent.

sevenonemedia.de

Sie vermarkten mittlerweile über 60 digitale Plattformen. Lohnt es sich, dem Zuschauer überallhin zu folgen?

Thomas Wagner: Wir haben uns von der Vorstellung gelöst, dass Fernsehen nur auf einem großen Bildschirm im Wohnzimmer stattfindet. Fernsehen wird über digitale Verbreitungswege anders konsumiert als in der Vergangenheit. Wenn es uns gelingt, die Inhalte für jede Nutzungsart attraktiv zu gestalten, können wir über alle Plattformen hinweg hohe Reichweiten generieren und vernetzte Konzepte erfolgreich vermarkten. Fernsehen bleibt das starke Fundament, auf dem alle anderen Kommunikationsmaßnahmen aufbauen.

Wolfgang Link und Thomas Wagner im Gespräch (Foto)

Maßgeschneiderte Lösungen: Schon bei der Programmentwicklung sitzen Wolfgang Link und Thomas Wagner an einem Tisch.

TV-Nutzung

152 Minuten

am Tag sehen die jungen Zuschauer zwischen 14 und 29 Jahren fern (Media Activity Guide 2014), auch wenn sie Bewegtbild heute über immer mehr Bildschirme konsumieren.

Einer Schätzung von SevenOne Media zufolge wird die Online-Video-Nutzung der Youngsters bis 2018 um 18 Prozent steigen. Für die 14- bis 49-Jährigen rechnen die Forscher trotz steigender Internetnutzung mit einem stabilen TV-Konsum. Die Parallelnutzung ist seit 2003 um 177 Prozent gestiegen. 75 Prozent der 14- bis 49-Jährigen sind während des Fernsehens online unterwegs. Den gut vernetzten TV-Formaten schadet diese Entwicklung nicht, im Gegenteil: Bei „Germany’s Next Topmodel“ beispielsweise verlängert das Zusatzangebot ProSieben Connect die TV-Nutzungszeit um den Faktor 1,3.

sevenonemedia.de/mag

Wolfgang Link: Auch die Zuschauer werden anspruchsvoller. Früher gab es zu einem Format eine Seite im Internet. Heute kreieren wir ganze Erlebniswelten. Zu „Promi Big Brother“ beispielsweise gab es eine Show in SAT.1, eine Web-Show auf SAT1.de, eine Late-Show auf sixx, ein Pay-Angebot bei maxdome und einen 24-Stunden-Livestream. Ja, die Videonutzung nimmt zu, aber vor allem getrieben durch TV-Inhalte und durch das, was wir im Netz daraus machen. Dabei gelingt es unseren Sendermarken, enorme Abrufzahlen zu erzielen. Bis zu 500.000 Video Views für „Germany’s Next Topmodel“ und mehr als 120.000 für „Circus HalliGalli“ beweisen die Strahlkraft von TV – weit über den großen Screen hinaus.

Im Internet kann jeder zum TV-Produzenten werden. Gibt es überhaupt noch einen Massengeschmack?

Wolfgang Link: Dass es ihn noch gibt, sehen wir am Erfolg großer Shows wie „The Voice of Germany“. Natürlich wächst mit der Vielzahl der Angebote die Herausforderung, Blockbuster-Formate zu etablieren. Dafür braucht es auch Mut: Vor ein paar Jahren dachte jeder, beim Thema Casting sei alles auserzählt. Dann kam „The Voice of Germany“ und hat das Genre revolutioniert. Ähnlich war es bei Joko und Klaas. Die beiden kamen aus einer Nische und machen jetzt große Abendunterhaltung bei ProSieben.

Sie haben mit sixx, SAT.1 Gold und ProSieben MAXX neue Sender etabliert. Ist das Senderportfolio damit komplett?

Wolfgang Link: Unsere Zielgruppensender haben im vergangenen Jahr maßgeblich zum Reichweiten- und Umsatzwachstum beigetragen. Sie können Angebote auf großen Sendern ergänzen und geben uns die Möglichkeit, Formate auszuprobieren und weiterzuentwickeln. Wir analysieren natürlich regelmäßig den Markt, wie wir unser Portfolio sinnvoll ergänzen könnten.

Ist Multiscreen bereits ein fester Bestandteil in der Programmplanung?

Wolfgang Link: Wir überlegen schon in der Kreation, wie ein Format über 360 Grad, also alle verfügbaren Plattformen, gespielt werden kann, und setzen uns mit der Vermarktung zusammen, um Potenziale auszuloten. Aber unsere erste Frage lautet immer: Ist das spannendes Entertainment für die Masse in Deutschland? Erst dann überlegen wir, welche Ergänzungen sich anbieten.

360-Grad-Konzepte (Foto)

Ein Format über alle Plattformen: 360-Grad-Konzepte sind bei Zuschauern und Werbekunden gefragt.

Die Werbekunden wollen ja gerade sowieso am liebsten selber Fernsehen machen, etwa indem sie Inhalte selbst produzieren.

Thomas Wagner: Stimmt, aber man darf nicht müde werden, die Realität in den richtigen Blickwinkel zu rücken. Es wird nicht gelingen, allein über virale Inhalte Marken aufzubauen. Schauen Sie sich Coca Cola oder Red Bull an. Nicht die Web-Aktionen oder Live-Inszenierungen wie ein Sprung aus dem Weltall haben diese Marken groß gemacht. Klassische Fernsehwerbung hat Red Bull Flügel verliehen. Das Storytelling bleibt die große Stärke von TV.

Was sind die größten Herausforderungen an die Vermarktung im Zeitalter von Multiscreen?

Thomas Wagner: Kompetente Mitarbeiter, die mit dem technologischen Fortschritt gehen, sind enorm wichtig. Wir haben uns in den vergangenen fünf Jahren vom klassischen Reichweitenvermarkter zum Konzeptvermarkter entwickelt. Immer mehr Kunden suchen maßgeschneiderte Kommunikationslösungen und es bedarf vielerlei Kenntnisse über das Zusammenspiel der Medien, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Die zweite große Herausforderung ist, als Multiscreen-Vermarkter eine Gesamtreichweite anzubieten, die der Kunde mit einem Auftrag für alle Endgeräte buchen kann.

Im Kerngeschäft war bislang die Mediengruppe RTL Deutschland Ihr größter Wettbewerber – mittlerweile müssen Sie sich auch über Google, Facebook und Co. Gedanken machen. Die US-Konzerne umwerben TV-Kunden und ziehen Budgets auf internationaler Ebene ab.

Thomas Wagner: Wir wären schlecht beraten, wenn wir die neuen Wettbewerber nicht genauso ernst nähmen wie die altbekannten. Ein genauer Blick auf die Zahlen lohnt sich jedoch: Bei YouTube zum Beispiel sorgen acht Prozent der Nutzer für zwei Drittel des Traffics, bei Facebook sind es neun Prozent. Die Argumentation, hier zusätzliche Nettoreichweiten aufzubauen, hinkt gewaltig. Die YouTube-Heavy-User sehen sogar noch mehr fern als der Durchschnitt der TV-Zuschauer.

Senderportfolio

6 starke Free-TV-Marken

gehören zum Senderportfolio von ProSiebenSat.1 in Deutschland. Das Tochterunternehmen SevenOne Media vermarktet diese über alle Screens: Free-TV, Connected TV, Online und Mobile.

ProSiebenSat.1 ist Deutschlands erfolgreichste Sendergruppe. Wir sind die Nummer 1 im Zuschauer- und TV-Werbemarkt und erreichen im deutschsprachigen Raum rund 42 Mio TV-Haushalte. Unser Free-TV-Portfolio mit den Sendern SAT.1, ProSieben, kabel eins, sixx, SAT.1 Gold und ProSieben MAXX ist komplementär aufgestellt.

prosiebensat1-tv-deutschland-gmbh

Senderportfolio – 6 Free-TV-Marken (Grafik)

Wie wollen Sie in den nächsten fünf Jahren bei weitgehend stabilen Verhältnissen im Zuschauer- und Werbemarkt wachsen?

Wolfgang Link: Wir werden wachsen, indem wir die Chancen der Fragmentierung nutzen und gleichzeitig starke Events im linearen Fernsehen kreieren. Es gibt in Deutschland Platz für Zielgruppensender, aber auch für die großen Sendermarken. Das ist einer der wesentlichen Unterschiede zum skandinavischen und zum US-amerikanischen Markt. Der große Sport, die Shows, die Blockbuster – all das sieht man bei uns im Free-TV. Deshalb steht das lineare Fernsehen hier auch weniger unter Druck.

Thomas Wagner: Der Verteilungskampf zwischen den Mediengattungen verschärft sich. Sicher werden auch die neuen Internetplayer zunehmend an den Budgets ziehen. Aber wir werden uns dabei sehr gut schlagen, denn am Ende zählen für die Kunden Reichweite und Wirkung. Beides bietet TV als verlässlicher Partner.<